„Eine vertane Chance, echte digitale Souveränität zu gestalten.“ Rückschau auf den Gipfel zur europäischen digitalen Souveränität

Ein Beitrag von Sandra Barthel

Unter dem Motto „Europas digitale Zukunft gestalten. Gemeinsam“ fand am 18. November in Berlin der „Gipfel zur europäischen digitalen Souveränität“ statt.

Starten wir unseren Rückblick positiv. Nach intensiven Vorbereitungen zum Launch unseres Bündnisses, der Pressekonferenz am 12. November, der Erarbeitung des Forderungspapiers und seiner Übersetzung ins Französische und Englische war unser Bündnis auf dem Gipfel präsent.

Sandra Barthel von der Digitalen Gesellschaft, die das Bündnis initiiert hat, konnte in Gesprächen mit politischen MandatsträgerInnen unsere vier Forderungen zum Thema digitale Unabhängigkeit und Selbstbestimmung erläutern. Allerdings nicht auf der Bühne, sondern in den Gängen und an den Tischen in den dicht gedrängten Räumlichkeiten.

Post von @offene_netzwerke@eupolicy.social (View on Mastodon)

Sandra war nicht die einzige, die vom Bündnis Offene Netzwerke vor Ort vertreten war. Auf dem Bild zu sehen sind von rechts nach links: Felix Hlatky (Mastodon), Lilli Iliev (Wikimedia Deutschland), Bianca Kastl (Innovationsverband Öffentliche Gesundheit) und Sandra Barthel (Digitale Gesellschaft). Auch Björn Staschen von Save Social, Svea Windwehr und Erik Tuchtfeld von D64, sowie Markus Beckedahl und Michael Kolain vom Zentrum für Digitalrechte und Demokratie haben am Gipfel teilgenommen.

Insgesamt war der Anteil der zivilgesellschaftlichen VertreterInnen an den wohl insgesamt um die Tausend Teilnehmenden sehr spärlich. Dass Digitalminister Karsten Wildberger in seiner Eröffnungsrede die Zivilgesellschaft gar nicht erwähnte, sondern nur „Firmen, Investoren, Forschende, politische Institutionen,“ ist bezeichnend. BürgerInnen sind lediglich KundInnen, wie Netzpolitik.org in einer Rückschau kritisiert. Das sehen wir vom Bündnis natürlich anders. In unserem Papier fordern wir, „digitale Souveränität für unsere Gesellschaft und alle BürgerInnen in Europa zu ermöglichen und umzusetzen.“

Die wenigen Einladungen für VertreterInnen aus digitalpolitischen und gemeinwohlorientierten Organisationen kamen erst durch hartnäckiges Nachfragen zustande. Statt demokratiepolitische Aspekte der ausgewogenen Repräsentation schienen Zufälligkeiten und persönliche Kontakte ins Ministerium dafür entscheidend, ob jemand am Gipfel teilnehmen durfte. Ähnlich sieht dies auch Netzpolitik.org: „Die Zivilgesellschaft durfte nur zuschauen.“

Thema verfehlt: Deregulierung statt digitale Souveränität

Um es gleich vorab zu sagen: offene soziale Netzwerke wie das Fediverse waren kein Thema. Das Programm des Gipfels, die inhaltlichen Aussagen der Reden und viele Beiträge auf den diversen Panels waren geprägt von einem einseitigen Verständnis von „digitaler Souveränität.“

Wie das Bundesministerium für Digitales und Staatsmodernisierung festhält, standen „Künstliche Intelligenz, Startups sowie Cloud- und Datenthemen“ im Mittelpunkt des Tages. Aus Perspektive vieler Teilnehmenden ist dies eine oberflächliche Verengung und angesichts der Dringlichkeit, eine Verständigung zu erzielen, absolut unzureichend und enttäuschend.

Neben „Deregulierung“ war „Simplifizierung“ der Ausdruck, der in zahlreichen Reden verwendet wurde, doch beide stellen keine Souveränität her. Mittels Simplifizierung sollen stattdessen hart erarbeitete und effektive Schutzmechanismen vor allem in der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) aufgehoben und die Umsetzung gerade des Teils der KI-Verordnung, der Hochrisiko-Systeme betrifft, verschoben werden.

Durchsetzung und Erweiterung des DMAs für echten Marktzugang und Alternativen

Digitale Souveränität wird selbst aus wirtschaftspolitischer Perspektive in dieser Verkürzung falsch adressiert. Kein deutscher oder europäischer Anbieter wird durch eine Aufweichung und Aussetzung digitaler BügerInnenrechte einen besseren Marktzugang erreichen. Es braucht keinen Abbau von europäischer Digitalpolitik, sondern ihre effektive Durchsetzung. Nur so haben andere Anbietende überhaupt Zugang zum Markt. Der Digital Markets Act (DMA) muss endlich effektiv und in vollem Umfang durchgesetzt und für den Bereich soziale Netzwerke erweitert werden.

Auch der Podcast Logbuch Netzpolitik von Tim Pritlove und Linus Neumann kritisiert in Ausgabe 538 „die dünne Ausbeute des grundlegend falsch ausgerichteten deutsch-französischen Souveränitäts-Digitalgipfels.“

Weiter in die Abhängigkeit: Steuermilliarden für proprietäre Softwarelizenzen

Weder der deutsche Bundeskanzler Friedrich Merz, noch der deutsche Digitalisierungsminister Wildberger haben sich dazu bekannt, in der öffentlichen Beschaffung ausschließlich auf europäische Anbieter zu setzen. Stattdessen sollen scheinbar bestehende amerikanische und andere außereuropäische Abhängigkeiten auch zukünftig jedes Jahr mit Milliarden für proprietäre Softwarelizenzen aufrechterhalten werden. Somit wird ein wesentlicher Hebel, den die staatlichen Akteure in der Hand haben, nicht genutzt. Wie genau unter solchen Bedingungen deutschen und europäischen Softwareanbietern zur „Innovationsführerschaft“ verholfen werden soll, bleibt fraglich.

Stattdessen: öffentliche Investitionen für bestehende Alternativen

Bestehende offenen Alternativen, zum Beispiel im Bereich soziale Netzwerke, könnten durch öffentliche Investitionen und ihre Nutzung unterstützt werden. Doch das wurde auf dem Gipfel ebenfalls nicht thematisiert. Wir haben dazu mit unseren Forderungen nach einem Fediverse Fund für nutzendenzentrierte Weiterentwicklung in Höhe von 30 Millionen Euro jährlich, sowie der Verankerung des +1-Prinzips für die Arbeit der Bundesregierung und öffentliche Institutionen konkrete Vorschläge entwickelt, die auf Umsetzung warten.

Auch das Panel zum Digital Commons EDIC (European Digital Infrastructure Consortium), mit dem digitale Gemeingüter unterstützt werden sollen, war mehrheitlich enttäuschend. Lichtblick war die Wortmeldung von Adriana Groh, der CEO und Co-Gründerin der Sovereign Tech Agency, die darüber sprach, dass „Infrastruktur Macht ist“ und Digital Commons und Open Source unterstützt werden müssen.

Unsere dritte Forderung nach einer Anerkennung der Gemeinnützigkeit im Bereich dezentrale digitale Infrastrukturen adressiert diese Notwendigkeit.

Ebenfalls enttäuschend ist die Abschlusserklärung. In Ermangelung einer eigenen Gipfelerklärung wurde auf die von Österreich initiierte „Charta für Digitale Souveränität und Resilienz“ zurückgegriffen, die ebenfalls ohne echte Beteiligung der Zivilgesellschaft verfasst wurde.

Fazit: Eine vertane Chance, echte digitale Souveränität zu gestalten

Für den so wesentlichen Bereich von Kommunikation und sozialen Netzwerken wurde nicht einmal der Versuch unternommen, digitale Souveränität zu formulieren. Ziele oder Maßnahmen für diesen Bereich wurden nicht diskutiert. Dabei sind unabhängige offene Netzwerke der wesentliche Grundstein für unsere digital-souveräne öffentliche Kommunikation – und damit für Demokratie und Wettbewerb. Es braucht endlich öffentliche Investitionen in öffentliche Infrastruktur, für BürgerInnen und Unternehmen.

Das nüchterne Fazit zum Gipfel ist leider, dass die Bundesregierung dort keine unserer vier Forderungen und vorgeschlagenen Maßnahmen aufgegriffen hat.

Der Gipfel war eine vertanen Chance, echte digitale Souveränität zu gestalten. Wenn die in Deutschland vorhandene Expertise im Bereich Open Source und Digitalpolitik vom Ministerium nicht aufgegriffen und beachtet wird, mehr noch: wenn BürgerInnen, die ihre digitale und analoge Welt gestalten wollen, nicht eingebunden werden, kann Digitalpolitik nicht wirksam werden. Digitalpolitik ist Gesellschaftspolitik, die ineinandergreifende Maßnahmen verlangt. Maßnahmen, wie wir sie anlässlich des Gipfels vorgeschlagen haben.

Wir werden uns auch weiterhin für unsere vier Forderungen einsetzen und diese bei entsprechenden Anlässen thematisieren. Wir würden uns ebenfalls über ein Gespräch mit dem Digitalminister freuen, um ins Gespräch zu kommen und unsere Expertise in die Ausgestaltung echter digitaler Souveränität einzubringen und gemeinsam erfolgreich zu gestalten.

Weitere Einschätzungen und Nachbetrachtungen

Falls ihr Euch noch für weitere Einschätzungen zum Gipfel interessiert, so können wir Euch folgende Links empfehlen: Netzpolitik.org berichtete zum Gipfel, das Zentrum für Digitalrechte und Demokratie hat ebenfalls einen langen Bericht und eine kritische Einordnung gepostet und Erik Tuchtfeld spricht im eGovernment Podcast Monatsschau 11/25 über seine Eindrücke vom Gipfel.

Auf der Website zum Gipfel finden sich die Videos aus dem Programm, sowie weitere Informationen, auch zu den offiziellen Sideevents. Unter dem Hashtag #EUsummit25 finden sich zahlreiche Berichte zum Gipfel.


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